Offener Brief an Dr. Heiner Garg

Mitglieder des Gesundheitsnetzwerks COVID‑19 beziehen Stellung

Von Katrin Eilts-Köchling am 19. November 2021

Dr. Heiner Garg,
Minister für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren
Ministerium für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren in Schleswig Holstein

Lübeck, den 19. November 2021

Sehr geehrter Herr Dr. Garg,

bereits am 06. Mai 2021 hat der Berufsstand der Pflegenden über eine Stellungnahme der Pflegeberufekammer SH in der Mündlichen Anhörung des Sozialausschusses des Schleswig-Holsteinischen Landtages bezüglich der Auswirkungen der Corona Pandemie mehrere Problemfelder angemerkt. Diese treffen weiterhin zu und haben mit der aktuellen vierten Pandemie-Welle und der letzten Änderung der Corona-Bekämpfungsverordnung neue Brisanz und Dringlichkeit erhalten:

1. Handlungsempfehlungen und Landesverordnung sind zu allgemein gehalten. Sie bieten in der praktischen Umsetzung viel Interpretationsspielraum, der verunsichert.

Die Verantwortlichen und Durchführenden aus der Pflege werden auch 6 Monate nach der Mündlichen Anhörung nicht in den Prozess der LVO Anpassungen miteinbezogen. Die Umsetzung allgemein gehaltener Vorgaben in konkrete Konzepte blieb jeder Einrichtung einzeln überlassen. In 21 Monaten Pandemie hat die Pflege dabei viel Verantwortungs­bewusstsein und Kompetenz für den Schutz vulnerabler Gruppen bewiesen, aber auch Ressourcen verbraucht. Es ist unerklärlich, dass sie mit Ihren Erfahrungen in die Erstellung von Handlungsempfehlungen nicht regelhaft und selbstverständlich eingebunden ist.

2. Es zeigten sich Inkonsequenzen in den Verordnungen, wenn z.B. Pflegeheime aufwändige Testkonzepte realisieren müssen und der Rettungsdienst das nicht braucht.

Auch in dieser neuen Anpassung vom 13.11.2021 wurden die Lücken trotz der zuvor erfolgten Hinweise nicht geschlossen. Ganze Bereiche der Gesundheitsversorgung werden nicht oder uneinheitlich bedacht. Besuchs- und Personaltestungen in Kliniken und in Bereichen der stationären Langzeitpflege / Teilstationären Pflege / Hospiz werden unterschiedlich vorgegeben. Die Ambulante Pflege wird bisher in § 9 Dienstleister beschrieben. Das bedeutet ganz praktisch, dass Krankentransportfahrer:innen oder das Personal der ambulanten Pflege, einschließlich der Hauswirtschaft und Betreuung nicht getestet sein muss. Dies betrifft Fahrten mit Bewohner:innen der stationären Pflegeeinrichtungen zu ambulanten Therapien oder die Versorgung von vulnerablen Gruppen zu Hause. Es gibt keine rechtliche Handhabung die Testung beim Personal einzufordern. Es ist logisch nicht nachvollziehbar, dass das Ministerium Unterschiede in den Sicherheitsmaßnahmen macht, da es in allen Fällen um den Schutz vulnerabler Gruppen geht. Die Ambulante Pflege muss dringend als Unterpunkt unter § 15 Einrichtungen und Gruppenangebote der Pflege benannt und auch weitere Testlücken im Umgang mit vulnerablen Gruppen geschlossen werden.

3. Einrichtungen wird keine Zeit zur Umsetzung von Änderungen der Vorgaben gegeben. Sie erfahren die Änderungen mit der Bevölkerung oder kurz davor. Gleichzeitig müssen sie sich vor z.B. Besuchenden rechtfertigen, warum es noch nicht umgesetzt wurde. Das zeugt von einer schlechten Absprache des Sozialministeriums mit der Handlungsebene.

Seit Pandemiebeginn ist es so, dass am Wochenende Landesverordnungen vom Ministerium für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren SH offiziell herausgegeben werden und die Umsetzung durch die Einrichtungsträger innerhalb von 24 bis max. 48 Stunden umzusetzen sind. So auch die aktuelle Änderung: am Samstag, den 13.11.21, wurde sie herausgegeben und war für die pflegerischen Bereich ab Sonntag, den 14.11.21, verpflichtend umzusetzen. Die aktuelle Testverpflichtung durch die Pflegeeinrichtungen von heute auf morgen umzusetzen ist völlig unmöglich, da sie den Aufbau von Teststrukturen notwendig macht. Die Pflege wird hier zur Zielscheibe für den Unmut der Bevölkerung. Es sollte im Sinne der Politik sein, den Berufsstand der Pflegenden bei der Umsetzung der Verordnungen so mit einzubinden und zu unterstützen, dass sie die notwendigen Veränderungen mit Veröffentlichung einer Änderung auch umsetzen kann.

4. Pflege ist Mangelware. Das ist in der Pandemie überdeutlich geworden. Trotzdem wurden und werden den Pflegeeinrichtungen und –diensten zusätzliche Aufgaben zugewiesen. Hier hätten Ressourcen auf übergeordneter Ebene gebündelt werden müssen, damit die Pflegenden, die wir haben, ihre Kernaufgaben wahrnehmen können.

Der Zeitraum der gesunkenen Inzidenzzahlen im Sommer wurde nicht genutzt, um gemeinsam mit dem Berufsstand der Pflegenden in Schleswig Holstein die erwartete vierte Welle vorzubereiten. Auch mit der neuen Anpassung wird der Berufsstand der Pflegenden allein gelassen. Die Politik kommuniziert auch 21 Monate nach Beginn der Pandemie nicht auf Augenhöhe mit dem Berufsstand der Pflegenden, welche die Verordnung in die Praxis umsetzen müssen. Die Etablierung von Pflegemanager:innen im Gesundheitsamt als Ansprechpartner:innen und Koordinator:innen wäre hier sehr hilfreich gewesen.
Zusätzlich wird immer wieder gesellschaftlicher Druck auf die Pflegenden im Rahmen einer auf den Berufsstand der Pflegenden reduzierten Impfpflichtdiskussion ausgeübt. Die Mehrzahl der Pflegenden begrüßt die Impfung als wirksames Mittel zur Bekämpfung und Vermeidung von COVID‑19 Infektionen. Dies belegt die hohe Impfquote. Eine Impfpflicht wird somit auch von der Mehrzahl der Pflegenden begrüßt, wenn diese Impfpflicht nicht nur die Pflegenden betrifft, sondern sämtliche Berufsgruppen, deren Tätigkeitsbereich eine Fremdgefährdung von vulnerablen Gruppen beinhaltet.

Für die Zukunft wünschen wir uns:

  • die respektvolle Einbindung der Berufsgruppe der Pflegenden in die Erstellung der sie betreffenden Handlungsempfehlungen und LVO-Anpassungen,
  • die Schließung der Testlücken bei einzelnen Bereichen im Gesundheitswesen, welche Umgang mit vulnerablen Gruppen haben, wie z. B. Krankentransport, Ambulante Pflege und Versorgung, u. a.,
  • die Berücksichtigung der Ambulanten Pflege und Versorgung als Unterpunkt unter § 15 der LVO,
  • die Einbindung und Vorinformation aller Handlungsebenen der Pflegenden bei umzusetzenden Veränderungen VOR Bekanntgabe für die Allgemeinbevölkerung,
  • die Etablierung von Pflegemanager:innen im Gesundheitsamt als Ansprechpartner:innen und Koordinator:innen für den Bereich der Pflege,
  • die Diskussion der Impfpflicht für sämtliche Berufsgruppen, deren Tätigkeitsbereich eine Fremdgefährdung von vulnerablen Gruppen beinhaltet, ohne Fokussieren auf eine spezielle Berufsgruppe.

Gerne heißen wir Sie bei einem unserer nächsten Netzwerktreffen, das wöchentlich am Dienstagabend stattfindet, willkommen.

Mit freundlichen Grüßen

Katrin Eilts-Köchling,
im Namen des Gesundheitsnetzwerkes COVID‑19 in der Hansestadt Lübeck,
https://www.ethik-netzwerk.de/covid-19/

Unterzeichnende Mitglieder des Gesundheitsnetzwerk COVID‑19 in der Hansestadt Lübeck in alphabetischer Reihenfolge

  1. Maria Altenburg, Koordinatorin, Ambulanter Hospizdienst der Lübecker Hospizbewegung e. V.
  2. Reinhard Antrich MBA, Direktor & Heimleiter Rosenhof Travemünde
  3. Yonathan Arnold – Bereichsleiter der Johanniter-Unfall-Hilfe e.V., Regionalverband Schleswig-Holstein Süd/Ost
  4. Tinka Beller, Vorsitzende, Ambulanter Hospizdienst der Lübecker Hospizbewegung e. V.
  5. Manfred Bergmann, Lübeck
  6. Claudia Bettinger, Einrichtungsleitung, Johanniter-Zentrum Lübeck
  7. Dr. rer. nat. Dipl. Chem. Andreas Bobrowski, Laborärztliche Gem. Praxis Lübeck, Zentrallabor Lübecker Ärzte
  8. Bruno Böhm, Lübeck
  9. Doreen Boniakowsky, Wohnen und Pflege für Senior:innen u. pflegebedürftige Menschen, Vorwerker Diakonie, Lübeck
  10. Dr. med. Kirstin Breithaupt, Palliativnetz Travebogen gGmbH, Lübeck
  11. Jörn Burfeind, FA für Allgemeinmedizin, MGZ Lübeck, Lübeck
  12. Katrin Eilts-Köchling, Palliativnetz Travebogen, Netzwerk Ethikarbeit in Lübeck und Umgebung (NEL), Lübeck
  13. Mechthild Dehnhard, Leitung DRK-Tagespflege Berkenthin, DRK-Pflegedienste Herzogtum Lauenburg gGmbH
  14. Daniela Eggers, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Sektion für Forschung und Lehre in der Pflege, Institut für Sozialmedizin u. Epidemiologie, Universität zu Lübeck
  15. Dr. med. Martin Federsel, Allgemeinarzt, Lübeck
  16. Heike Garbe, Lübeck
  17. Matthias Gatermann, Einrichtungsleiter, DRK-Senioren- und Pflegezentrum im Park, DRK Pflegeservice Schleswig-Holstein gGmbH, Lübeck
  18. Ute Goerigk, Pflegedienstleitung, Caritas Lübeck Ambulante Pflege, Lübeck
  19. Dr. Andreas Grasteit, Allgemeinarzt, Lübeck
  20. Johanne Hannemann, Geschäftsführerin Vorwerker Diakonie, Lübeck
  21. Mehtap Hehl, Pflegedienstleitung, Pflegedienst BESSERLEBEN, Lübeck
  22. Sebastian Heinlein, Palliative Care Pflegefachperson, Koordininator für Ethikberatung im Gesundheitswesen, Mitglieder der Steuerungsgruppe Netzwerk Ethikarbeit in Lübeck und Umgebung (NEL)
  23. Dr. Anja Hollandt und Kollegen, Allgemeinmedizinische Praxis am Dreilingsberg, Lübeck-Travemünde
  24. Dr. Helmut Holl, Arzt im Ruhestand und Impfarzt bis Ende September 2021, Lübeck
  25. Tilman Huckle, Forschungsassistent, Sektion für Forschung und Lehre in der Pflege, Institut für Sozialmedizin u. Epidemiologie, Universität zu Lübeck
  26. Beke Jacobs, Leitung Patienteninformationszentrum PIZ, UKSH Campus Lübeck
  27. Miriam Jacobs, Qualitätsmanagement, Palliativnetz Travebogen gGmbH, Lübeck
  28. Maike Koop, Pflegedienstleitung, Sie am Behnckenhof, Intergrativer Bereich, Lübeck
  29. Salome Korth, Pflegedienstleitung und stellvertretende Heimleitung Domicil Marli, Lübeck
  30. Dorothee Krause, Sozialdienst Krankenhaus Rotes Kreuz Lübeck - Geriatriezentrum
  31. Dr. med. Isabel Kriegeskotten-Thiede, Hausärztin, Lübeck
  32. Katja Langfeldt, Leitung, Rotkreuzschwestern ambulant, DRK Schwesternschaft Lübeck
  33. Inga Lohse, Geschäftsführerin “Dagmar Heidenreich Ambulanter Pflegeservice GmbH” mit “Haus Rehhagen - Tagespflege für Senioren”
  34. Dr. med. Kerstin Marquardt, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Lübeck
  35. Dr. Axel Meier, Praktischer Arzt, Lübeck
  36. Fred Mente, Geschäftsführer der Vorwerker Diakonie gemeinnützige GmbH, Lübeck
  37. Dr. med. Jörg Metzner, Ärztlicher Leiter der Zentralen Notaufnahme, Sana Kliniken Lübeck GmbH
  38. Kerstin Mielke, Bereichsleitung Nord, Palliativnetz Travebogen gGmbH, Bad Segeberg
  39. Heidi Mühlschlegel, Fachärztin Allgemeinmedizin, SANA-Klinik Travemünde
  40. Carola Neugebohren, Leitende Koordinatorin, Palliativnetz Travebogen gGmbH, Lübeck
  41. Sina Ney, Logopädische Praxis in Stockelsdorf, Ostholstein
  42. Rainer Nielsen, Pflegedienstleitung, Pflegedienst der Manus-Gesundheitshilfe e. V., Lübeck
  43. Marianne Nitsch, Inhaberin DHK GmbH, DHK- Die Häusliche Krankenpflege GmbH, Lübeck
  44. Silvio Oldendorf, Pflegedienstleitung, Hanse-Residenz Lübeck GmbH
  45. Martina Pallmann, Palliative Care Pflegefachperson, Lübeck
  46. Alexandra Pohl, Koordinatorin, GEMEINSAM GEHEN, Lübecks ambulanter & kultursensibler Hospizdienst, c/o Sprungtuch e.V.
  47. Martina Preuß, Fachärztin für Hygiene und Umweltmedizin, Krankenhaushygienikerin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck
  48. Henrike Prox, Einrichtungsleitung, AWO Servicehaus Lübeck, AWO Pflege Schleswig-Holstein gGmbH, Lübeck
  49. Dr. med. Sylvia v. Radetzky, Stellvertretende Vorsitzende, Ambulanter Hospizdienst der Lübecker Hospizbewegung e. V.
  50. Prof. Christoph Rehmann-Sutter, Professor für Theorie und Ethik der Biowissenschaften, Institut für Medizingeschichte und Wissenschaftsforschung, Universität zu Lübeck
  51. George D.R. Robbers, Geschäftsführer, PflegeZentrum Travemünder Allee gGmbH, Lübeck
  52. Sabrina Roedszus, Pflegedienstleitung und Stellvertretende Heimleitung Erika-Gerstung-Haus, DRK Schwesternschaft Lübeck
  53. Dr. med. Annette Rose, Ärztin, Palliativnetz Travebogen gGmbH, Lübeck
  54. Marco Sander, Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Pflegewissenschaft an der Universität zu Köln, Projektkoordinator Gewaltpräventionsprojekt PEKo
  55. Stephanie Sander, Pflegedienstleitung der Sozialstation Lübeck der Vorwerker Diakonie, Lübeck
  56. Dr. med. Jörg Sandmann, Facharzt für Allgemeinmedizin und Facharzt für Urologie, Travemünde
  57. Silvia Schallhorn, Geschäftsleitung, DHK- Die Häusliche Krankenpflege GmbH, Lübeck
  58. Thomas Schell, Geschäftsführer, Palliativnetz Travebogen gGmbH
  59. Dr. med. Renate Schleker, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Klinik Schloss Warnsdorf / Ratekau
  60. Claudia Schröder, Allgemeinärztin, Lübeck
  61. Tim Schröder, Geschäftsführer, halpy GmbH, Lübeck
  62. Petra Seiler, Palliativärztin, Palliativnetz Travebogen gGmbH
  63. Stefanie Seitz, Qualitätsmanagement, KBS Kranken- & Behinderten-Service GmbH, Lübeck
  64. Prof. Dr. Werner Solbach, Gesundheitsamt der Hansestadt Lübeck
  65. Dr. Ralf Staiger, Hausärztlicher Internist, Gemeinschaftspraxis Hüxtertor, Lübeck
  66. Mathias Steinbuck, Geschäftsführer der Pflegeeinrichtungen Steinbuck in Bargteheide und Lübeck
  67. Jan Udtke, Heimleitung Senioren Pension Schön, Lübeck
  68. André Völker, Gesundheitsamt der Hansestadt Lübeck
  69. Gert Wadehn – SeniorInnenEinrichtungen der Hansestadt Lübeck (SIE)
  70. Dr. Martin Willkomm, Chefarzt und Ärztlicher Direktor, KRK Lübeck, Geriatriezentrum
  71. Gaby Wulf, Pflegedirektorin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck